7. Exklusivität und Gemeinschaftserfahrung

 

(Es wird empfohlen, Blog 1-8 in numerischer Reihenfolge zu lesen.)

 

 

Zwei weitere elementare Merkmale von Liminalphasen werden uns – zwangsweise – zu ganz neuen Erfahrungen verhelfen.

 

Normalerweise stecken einzelne Personen, kleine Gruppen, überschaubare Kohorten oder einzelne Staaten in liminalen Krisen. Die existentiellen Herausforderungen mit all ihren Schrecken (die die Möglichkeit des endgültigen Todes inkludieren) sind die eine Seite. Die andere ist, dass diese Men­schen und Gruppen herausgehoben sind, eine besondere Beachtung (positiver oder negativer Art) erfahren, Hilfe und Unterstützung bekommen. Sie erleben Besonderes. Das hat nicht selten auch eine haltgebende Dimension.

 

Von Exklusivität kann bei der Pandemie nicht die Rede sein. Wir sind zwar in unterschiedlichen Graden und zeitversetzt betroffen, aber eine besondere Beachtung des eigenen Schicksals können wir kaum erwarten.

 

Das andere Merkmal ist die Gemeinschaftserfahrung. Übergangsrituale sind Angelegenheit von Gemeinschaften! Besonders im Übergang zum Erwachsenwer­den ist das gemeinsame Durchleben eines Rituals von tragender, prägender und bindender Kraft, mitunter fürs ganze Leben. Wer behauptet, die eigene Pubertät und die der Kinder sei krisenfrei ver­laufen (Glückwunsch!), greife auf den Gletschertour-Vergleich zurück: Ist es bei der Wanderung über den Gletscher zu einem Wettersturz oder einem Spalteneinbruch gekommen und die Gruppe hat ihn gemeinsam bewältigt, dann wird das zusammenschweißen und verbinden – hat nicht jeder schon vergleichbare Erfahrungen gemacht?

 

Im Falle von Covid-19 ist die ganze Menschheit betroffen. Das ist fast unbegreifbar. Auch wem die humanitären Dimensionen egal sind, wird die wirtschaftlichen schon spüren (Stichwort: Spargelkrise!). Spätestens die gigantischen Fluchtbewegungen, die zu erwarten sind, erzwingen unsere Reaktion. Wir sind unbewusst schon so verbunden mit allen und allem, dass wir uns nicht erlauben können, die Gemeinschaft zu vernachlässigen.

 

Woher nehmen wir eine bindende Kraft, die die Erde umspannt und zur Überwindung der Pandemie führt? Das wird sich erst unterwegs herausstellen, nachdem wir losgegangen sind, so ist es nun mal in liminalen Krisen, wir wissen nicht, ob und wo wir ankommen.

 

Natürlich ist es die Solidarisierung mit der gesamten Menschheit eine nie dagewesene, nicht zu bewältigende Herausforderung. Andererseits ist gerade das überwältigende Gefühl der Macht- und Ausweglosigkeit Kennzeichen jeder echten Übergangskrise.

 

Dennoch gibt es in all dem Unwissen auch eine gute Nachricht, basierend auf dem in Ritualen verdichteten Erfahrungswissen: In dem Maße, in dem es gelingt und wir Verbundenheitserfahrungen über bisherige Grenzen hin­weg machen, werden wir daraus eine Kraft ziehen, von der wir noch gar nichts ahnen. Wir sind – wie auf dem Gletscher – eine Seil­schaft. Auch wenn sie nicht frei gewählt, sondern erzwungen ist. Je besser wir zusammenwirken, desto besser steht es um unsere Chancen.

 

Fortsetzung folgt...

 

Kommentar schreiben

Kommentare: 0