4. Symbole

 

(Es wird empfohlen, Blog 1-8 in numerischer Reihenfolge zu lesen.)

 

 

Symbole dienen der „Formulierung einer relativ unbekannten Sache,“ so C.G. Jung.

 

Wir be­dienen uns ihrer immer dann, wenn Sinne und Gefühle im Spiel sind. („Ich fühle mich abgeschnit­ten.“ „Im Krieg gegen das Virus.“) Das ist eigentlich ständig so. Denn die Bereiche, in denen Definitionen und rein rationales Denken und Handeln ausreichen, sind schmaler als uns lieb ist. Beispiel: Unsere Verkehrsregeln sind klar definiert, ein Vorfahrtsschild hat nur eine einzige Bedeutung. Es ist ein Zeichen, kein Symbol. Sogar die harten Naturwissenschaften müssen sich oft der Symbole bedienen - Schwarzes Loch etwa ist ein Bild, keine Definition.

 

Rituelles Handeln ist also symbolisches Handeln. Das bedeutet: Alles wird überspitzt und abstrahiert. So sehr das Limen ein Graubereich ist, so grell und drastisch sind dessen Sprache, Bilder und Regeln. Es geht im Limen darum, Grundsätzliches zu begreifen, Neues einzuüben. Das gelingt in grellen, klaren Bildern viel besser, als in einem differenzierten Sowohl-als-Auch

 

Das Bild für diesen Abschnitt zeigt eine türkische Braut irgendwo in Berlin. Der rote Schleier ist die ältere Form des Hochzeitsschleiers. Es gibt ihn im Orient seit Jahrtausenden. 

 

Was symbolisiert der Schleier, was bedeutet die Farbe rot? Wir assoziieren Farbe der Liebe, Signalfarbe, Schönheit, Blut, Gefahr, Verbergen - Sie haben sicher noch andere Einfälle!

 

Vermutlich stimmt alles, die schönen und die weniger schönen Assoziationen. In jedem Fall spielt das Verbergen der Braut eine große Rolle. Ein unverzichtbares, extremes Element in Übergangsritualen sind Inszenierungen des Todes, manchmal nur angedeutet, oft ausgesprochen drastisch: Das junge Mädchen stirbt (unter dem Schleier), die verheiratete Frau wird geboren. Das todernst durchzu­spielen hilft, die Statusänderung zu begreifen und allmählich Vertrauen zu fassen, dass es nach der Ablösung etwas Neues geben wird.

 

Unter den strengen Tabus und Regeln sind auch oft Anti-Regel. Das sonst Verpönte auszuprobie­ren, kann helfen, den Sinn des Verbotes zu verstehen. Herrschenden werden etwa Erfahrungen von Un­terlegenheit zugemutet, Dienenden welche von Macht. Anti-Regeln können auch eine kontrol­lierte Horizonterweite­rung ermöglichen (etwa mittels körpereigene Drogen) oder reinigende Ventil­funktion haben (Karneval).

 

Was ist mit dieser symbolischen Aufladung gewonnen? Sie entspricht dem inneren Erleben offen­bar haargenau. Die Betroffenen fühlen sich in ihrer Unsicherheit, Angst und ihren Gefühlsschwankungen ernstgenommen. Zur Bewältigung von liminalem Chaos reicht kaum jemals eine intellektuelle An­strengung. Die komplexe Melange von Begreifen, Lernen, Wachsen, Sterben und Neubeginn ist nur vom ganzen Menschen zu bewältigen: Physis, Psyche, Geist sind ein Gesamtpaket.

 

Solange temporäre Regeln und Symbole zielführend sind und im Dienste der Überwindung der Krise stehen, sind sie also angemessen und hilfreich. Die Vermittlung darf sich keineswegs nur an den Verstand wen­den. Angst ist irrational, dafür sehr real. Starke Symbole, kontrollierte Inszenierungen des Dramas, gefühlsbetonte Akte der Zugehörigkeit dürfen nicht fehlen!

 

Fortsetzung folgt...

 

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