Liminalphase – das ist die treffende Bezeichnung für den Zustand, in dem sich die Menschheit gerade befindet. Limes heißt Grenze. Leben im Grenzbereich.
Wir verdanken die Einführung dieses Begriffs dem Ethnologen Victor Turner. Er hat die Erforschung der Ausgestaltung, Funktion und Dynamik von „Rites de Passage“ (deren Fundament Arnold van Gennep legte) mit seiner Fokussierung auf die Liminalphase wesentlich vorangetrieben.
Konkret geht es bei der Anwendung zunächst um Übergangsphasen zwischen zwei klar definierten Abschnitten im Leben eines Menschen. Das beste Beispiel ist die Pubertät: Der Mensch ist nicht mehr Kind und noch nicht erwachsen – Liminalphase. Es gibt auch gesellschaftliche oder jahreszeitliche liminale Phasen, etwa Zeiten eines Machtwechsels oder den Jahresübergang.
Für Liminalphasen hat die Menschheit Übergangsrituale erfunden. Wohin wir schauen und wie weit wir in der Geschichte zurückgehen: Zu markanten Anlässen und in erstaunlicher Ähnlichkeit finden sie sich weltweit zuverlässig.
Natürlich ist die Ausgestaltung kulturell geprägt und sehr verschieden, aber das Grundmuster ist eine anthropologische Konstante. Es besteht aus drei Phasen, der Abtrennung vom Alten, dem Übergang und der Angliederung ans Neue.
Der Sinn ist mit den eben genannten drei Beispielen einsichtig. Übergänge bringen zwangsläufig Krisen mit sich. In der Pubertät (und anderen biografischen Übergängen) sind es persönliche Lebenskrise jeder Schattierung. Für Staaten sind es etwa Machtvakuen. In jahreszeitlichen Ritualen geht es um das fragile Verhältnis zwischen Mensch und Natur.
Die Corona-Krise, so sieht es aus, spielt gleichzeitig in allen drei Feldern. Turners Beschreibung des Limen könnte helfen, sie sehr viel genauer zu verstehen. Noch mehr als das: In Übergangsritualen hat sich elementares Wissen um die Bewältigung von Krisen verdichtet. Wir sollten also die bewährten Strategien auf ihren Nutzen für die aktuelle Krise prüfen.
Fortsetzung folgt...
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